Der erste Tag danach

Was bisher geschah:

Lena Berger arbeitet bei der Mordkommission und erhält eine beunruhigende anonyme E-Mail über eine mögliche Bedrohung bei einem Charity-Weihnachtsdinner im Lokal „Frost & Flamme“. Der Hinweis enthält keine konkrete Drohung, sondern nur den Namen „Jonas Keller“. Während Lena über den mysteriösen Hinweis nachdenkt, erhält sie einen Notruf über eine leblose Person im selben Lokal. Sie eilt zum Tatort, unsicher, ob die Drohung wahr geworden ist.

Der Geruch des Restaurants klebte noch in ihrer Nase, als Lena am nächsten Morgen den Tatortbericht las. Blut auf hellem Parkett, ein eingeschlagener Hinterkopf, ein zu ordentlicher Gastraum. Der Tote: Mitinhaber, Gastgeber, Aushängeschild. Der Name war inzwischen mehr als ein Akteneintrag.

 

Sie blätterte durch die ersten Protokolle der Nacht. Aussagen von Personal, Gästen, Rettungskräften. Übermüdetes Gekritzel. Niemand hatte etwas gesehen, das sich sofort wie Mord anfühlte. Alle hatten Lichter, Musik, Gläser erwähnt. Und immer wieder denselben Satz: „Dann wurde die Musik plötzlich leise.“

 

Keine Uhrzeit, nur dieses „plötzlich“, dass alles und nichts bedeuten konnte.

 

Lena legte den Stift neben das Formular mit der Überschrift „Vernehmung Jonas Keller“. Sein Foto lag obenauf: weiße Zähne, dunkler Anzug, der professionelle Kummerblick, den erfolgreiche Männer aufsetzen, wenn etwas Unpassendes ihre Welt stört.

 

Sie erinnerte sich an sein Gesicht in der Nacht. Nicht geschockt, nicht hysterisch. Kontrolliert. Zu kontrolliert.

 

Auf dem Tisch am Fenster lag der Ausdruck der anonymen Mails. Sie hatte sie heute früh wieder hervorgeholt. Jemand hatte genau dieses Lokal, genau diesen Abend, genau diesen Namen erwähnt. Vor der Tat.

 

Zufall war möglich. Zufall war bequem.

 

Lena nahm die Akte, stand auf und ging Richtung Vernehmungszimmer. Sie hatte genug Prosa gelesen. Jetzt wollte sie hören, wie sich Jonas Keller seine Geschichte selbst erzählte.

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