Der Vorabend
Jonas Keller - Miteigentümer von Frost & Flamme
Im „Frost & Flamme“ roch es nach gebratener Ente, Zimt und kaltem Metall.
Jonas Keller stand mitten im leeren Gastraum und betrachtete sein Reich. Die Tische waren eingedeckt wie für ein Foto: gestärkte weiße Decken, schlanke Gläser, Kerzen in schmalen Haltern.
Draußen drückte die Dunkelheit gegen die Fenster, nur die Lichterketten an der Promenade spiegelten sich im Glas.
In zwei Tagen würde hier die Stadtspitze sitzen. Bürgermeister, Sponsoren, Kameras. Das Weihnachtsdinner, über das alle Jahre später noch sprechen sollten. Sein Abend. Seine Bühne.
Fast.
Über dem Tresen hing ein kleiner Bildschirm, auf stumm gestellt. Auf dem Standbild sah er sich selbst neben seinem Partner, Arm in Arm, lachend vor einem Mikrofon. Darunter die Bauchbinde eines Lokalsenders: „Der Weihnachtshit aus dem ‚Frost & Flamme‘ “. Jonas wandte den Blick ab, spürte, wie sein Kiefer hart wurde.
Die Anlage im Hintergrund blinkte im Standby. Ein Knopfdruck, und der Song würde wieder durch den Raum jagen. Diese eine Melodie, die ihm seit Jahren jeden Dezember wie ein schlechter Witz im Ohr klebte. Ein Witz, über den er nie gelacht hatte.
Stattdessen zählte er die Reservierungen für Samstag, prüfte die Liste der Sponsoren, strich mit dem Daumen über den Namen Jonas Keller. Offiziell: Miteigentümer, Gastgeber, Erfolgsmodell.
Inoffiziell: der Mann, der wusste, dass ein einziger falscher Abend reichte, um alles zum Einsturz zu bringen.
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