Die Mordnacht

Was bisher geschah:

Mia Novak arbeitet im Restaurant „Frost & Flamme“ und trägt den Duft von Butter, Knoblauch und Rotwein auch nach Feierabend in ihrer Kleidung. Der fast leere Gastraum wirkt wie ein Hochglanzmagazin, doch für Mia ist er eher eine Bühne, die bald abgebaut wird. Sie räumt Gläser weg und denkt an den stressigen Wochenplan mit einer anstehenden Doppelschicht am Samstag während eines Charity-Dinners. Ihre Mutter glaubt, dass es vorteilhaft ist, bei den Reichen zu arbeiten, aber Mia weiß, dass Trinkgeld nicht die Miete zahlt. Während sie den Abend ausklingen lässt, ist ihr nicht bewusst, dass ein Adventslied bald alles verändern wird.

Die Luft im „Frost & Flamme“ flimmerte vor Stimmen und Wärme. Tabletts schwebten über Köpfen, Gläser klirrten, Besteck klang wie leiser Regen auf Porzellan. Mia bewegte sich durch das Gedränge, als wäre sie Teil einer Choreografie: Schritt, Lächeln, Teller absetzen, nicken, weiter.

 

Der Ehrentisch leuchtete wie ein eigener Kontinent. Bürgermeister, Sponsoren, der Hausherr – und neben ihm Jonas, etwas im Schatten, aber präsent. Mia erkannte in ihren Bewegungen das eingeübte Spiel: einer im Rampenlicht, einer im Hintergrund.

 

Als die Lichter gedimmt wurden, spürte sie, wie sich der Raum veränderte. Gespräche flachten ab, Köpfe wandten sich zur kleinen Bühne. Der Hausherr griff nach dem Mikrofon, noch bevor jemand ihn dazu aufgefordert hätte. Ein vertrautes Frösteln lief Mia den Rücken hinunter, bevor der erste Ton erklang.

 

Der Song brach los wie ein kitschiger Schneesturm. Diese Melodie, die sie jedes Jahr in den Wahnsinn trieb. Einige Gäste kicherten, andere zückten ihre Handys, filmten die „Show“. Mia sah kurz zu Jonas hinüber. Sein Lächeln wirkte höflich, aber seine Hände umklammerten das Champagnerglas zu fest.

 

Später, als die Gläser leerer wurden und der Lärm wieder anstieg, bemerkte sie, wie beide Männer in dem schmalen Gang hinter der Bühne verschwanden. Die Musik war längst wieder Hintergrundrauschen. Trotzdem schwor sie, kurz vor dem Schrei, der später kam, noch einmal die ersten Takte dieses verhassten Refrains gehört zu haben.

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